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Von letzter Hand des Autors
Die Suhrkamp-Neuausgabe der „Ästhetik“ erscheint im Oktober
Viele Jahre haben die Familie Peter Weiss’, Weiss-Fans und Experten wie Jürgen Schutte und Manfred Haiduk eine überarbeitete Neuausgabe der „Ästhetik des Widerstands“ vom Suhrkamp-Verlag gefordert. Im Oktober – rechtzeitig zur Buchmesse in Frankfurt – ist nun die „Neue Berliner Ausgabe“ angekündigt.1
Lange Zeit wurde die „Berliner Ausgabe“, die 1983 in der DDR im Henschelverlag erschienen ist, als Ausgabe „von letzter Hand“ angesehen. Peter Weiss hatte diese Publikation auch noch selbst intensiv redigiert und er bezeichnete dabei insbesondere ihren dritten Band als eine „Wiederherstellung“ ursprünglicher Absichten. Bei der Herstellung der Erstausgabe der „Ästhetik des Widerstands“, der so genannten Frankfurter Ausgabe, wo die drei Bände des Werkes 1975, 1978 und 1981 im Suhrkamp-Verlag herauskamen, war es zu einem Konflikt zwischen Autor und Verleger gekommen. Weiss, der nach der Fertigstellung des dritten Band in eine schwere gesundheitliche Krise geriet und sich daher auf seine Genesung konzentrierte, arbeitete mit der Suhrkamp-Lektorin Elisabeth Borchers zusammen. Diese nahm Eingriffe in den Text vor, die Peter Weiss beunruhigten und missfielen. Selbst fühlte er sich in seinem Verhältnis zur deutschen Sprache verunsichert und traf nun auf eine Lektorin, die in vielerlei Hinsicht Veränderungen vorschlug und durchsetzte. Nachdem Weiss sich wieder mehr seiner Arbeit widmen konnte, wurde ihm das Ausmaß der Eingriffe bewusst und es kam zu einer Korrespondenz zwischen Weiss, der Lektorin und dem Verleger Siegfried Unseld in bittendem bis scharfem Ton. Weiss betonte darin zwar, er könne viele Vorschläge der Lektorin sehr gut übernehmen, sehe aber zahlreiche unzumutbare, seinen Stil einebnende Korrekturen.
Der Literaturwissenschaftler und Peter-Weiss-Intimus Manfred Haiduk zählt einige der umstrittenen Stellen in einem Aufsatz auf: „Aus ‘Geborgenheit’ wird ‘Sicherheit’ (…) Aus ‘Entsagung’ wird ‘Verzicht’, aus ‘sich als Hure’ wird ‘sich käuflich’, aus ‘ihre Grenze zu durchstoßen’ wird ‘über ihre Grenze hinwegzugehn’, aus ‘Doch er schwieg. Fest verschlossen sein Mund’ wird ‘Doch er schwieg mit verschlossenem Mund.’“2 Er fühle sich durch den Verleger „entmachtet“, schrieb Weiss damals. Unseld führte zum einen die Kosten einer Korrektur und zum anderen die, seiner Meinung nach, bessere Lesbarkeit des Romans mit Borchers’ Eingriffen ins Feld. Weiss ging soweit, dass er die Korrektur auf eigene Kosten anbot.
In der DDR wurde das Erscheinen des Romans im Frühjahr 1981 genehmigt. Angesichts der im Roman angelegten Brisanz und „Abweichung“ von der DDR-Geschichtsschreibung zum Antifaschistischen Widerstand und der stalinistischen Politik, wie sie sich etwa in der Beschreibung der „Moskauer Prozessen“ zeigte, aber auch wegen der lang anhaltenden Störung des Verhältnisses zwischen Weiss und der DDR-Obrigkeit, die sich wegen seines Stücks „Trotzki im Exil“ und dessen Verbot in der DDR entwickelt hatte, bedurfte es letztlich der Befürwortung von höchster Stelle.3
Da die Vereinbarung mit dem Lizenzgeber Suhrkamp einen Neusatz erlaubte, bekam Weiss wieder die uneingeschränkte Verfügung über seinen Text für die Henschel-Ausgabe. Ohne Rücksicht auf Kosten der Überarbeitung und mit Unterstützung seines Freundes Manfred Haiduks konnte er den Roman nach seinen Vorstellungen einrichten. Besonders intensiv nutzte er diese Möglichkeit für den dritten Band. Im Ergebnis lagen so zwei voneinander abweichende Fassungen vor, wobei die „Frankfurter Ausgabe“ – schon der viel höheren Auflage wegen – die dominante blieb.
Der emeritierte Literaturprofessor Jürgen Schutte4, einer der emsigsten, kompetentesten und engagiertesten Weiss-Experten, besorgt nun die Neuausgabe der „Ästhetik“ ganz im Sinne der von Weiss beabsichtigten Korrekturen, so dass nun endlich der Text in der „Neuen Berliner Ausgabe“ als Version „von letzter Hand des Autors“ gelten darf. Die Ausgabe wird als einbändiges Paperback erscheinen, was gerade für jüngere Neuleser_innen des Romans eine gute Nachricht ist. Wermutstropfen bleibt der nicht erfüllte Wunsch von Peter Weiss, dass die „Ästhetik des Widerstands“ als dreibändige Ausgabe in der für ihn so wichtigen Form des „hartgepressten Blocks“ realisiert werde.
In Ihrem Statement für unser Projekt beschreibt Peter Weiss’ Frau Gunilla Palmstierna-Weiss diese Vorstellung von “Blocksatz”, die Peter Weiss vorschwebte (etwa ab Minute 2:20):
Fußnoten:
1Dieser Beitrag beruht im Wesentlichen auf dem Entwurf des Vorwortes der Neuausgabe der „Ästhetik des Widerstands“, den uns Prof. Dr. Jürgen Schutte, der die Neuausgabe besorgt hat, dankenswerterweise vorab zur Verfügung gestellt hat
2Haiduk, Manfred: Vom schwierigen Umgang mit dem Abbild der eigenen Geschichte, in: Das Argument 316/2016, S. 215 – 223, hier S. 217f
3Ebenda, S. 218
4Jürgen Schutte stellte für diesen Beitrag vorab sein Nachwortsentwurf für die „Neue Berliner Ausgabe“ zur Verfügung. Vielen Dank!