Das Projekt

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Juni 25, 2016 pwadmin

Wer Weiss Widerstand

Die Stafettenlesung der „Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss (1916 – 1982) anlässlich seines 100. Geburtstags am 8. November 2016

 

Was ist eine Stafettenlesung?

Eine Stafette ist eine Wettkampfgruppe eines Staffellaufes. Wir bieten in einem fiktiven ewigen und universellen Wettlauf um die längste und schönste Lesung etwa 100 Lesende auf, die Peter Weiss’ großen Roman „Die Ästhetik des Widerstands“ mit seinen rund 1000 Seiten in einem Stück über 50 Stunden vortragen werden. In Rostock. Im Peter-Weiss-Haus. Aber nennen Sie es, wie Sie wollen, „Marathonlesung“, „Dauerrezitation“, „Peter-Weiss-Ironman“ – Hauptsache Sie fangen Feuer für das Projekt und fangen schon jetzt an, Ihr Wochenende in Rostock im November zu planen und sich laufend auf dieser Website über den Stand der Vorbereitungen zu informieren!

Um was geht es?

Peter Weiss (1916 – 1982) hat am 8. November 2016 seinen 100. Geburtstag. Er gehört zum grundlegenden Kanon linker Denker_innen, Künstler_innen und Schriftsteller_innen, die viele geprägt haben, die sich linken und emanzipatorischen Werten verpflichtet fühlen.

Seine Theaterstücke („Die Ermittlung“, „Marat/Sade“ u.a.), seine Prosa („Der Schatten des Körpers des Kutschers“, „Abschied von den Eltern“), vor allem aber der monumentale Roman „Die Ästhetik des Widerstands“ sind nicht nur künstlerische Meilensteine, sondern auch zeitgeschichtliche Ereignisse (gewesen). Die gleichzeitige Aufführung etwa des Auschwitz-Oratoriums „Die Ermittlung“ 1965 auf 14 deutschen Bühnen in Ost und West war zur Hochzeit des Kalten Krieges ein unerhörtes Geschehen.

Peter Weiss war aber auch als Experimentalfilmer und bildender Künstler tätig und schuf zusammen mit seiner Frau Gunilla Palmstierna-Weiss, die unser Vorhaben freundschaftlich unterstützt, großartige Kunstwerke.

Peter Weiss’ Leben, Werk und Wirken in angemessener Weise zu gedenken und sein Andenken zu ehren, dürfte Pflichtaufgabe all jener sein, die um die Bedeutung seines Wirkens wissen. Zumal das großartige Werk Peter Weiss‘ zunehmend in Vergessenheit gerät und es jungen Menschen heute nicht mehr selbstverständlich bekannt ist. Abgesehen von seiner künstlerischen Bedeutung ist das schriftstellerische Werk des politischen Autors Weiss ein Kompendium mit wesentlichen und richtungsweisenden Beschreibungen und Deutungen des 20. Jahrhunderts, des „Zeitalters der Extreme“ (Eric Hobsbawm): Die Geschichte der deutschen und europäischen Arbeiter_innenbewegung, der Spanische Bürgerkrieg in seiner internationalistischen Dimension, die stalinschen Säuberungen im Moskau der End-Dreißiger Jahre, die Katastrophe des Nationalsozialismus und der Widerstand gegen ihn, der Zivilisationsbruch der Shoah, der als „Dritter Weltkrieg“ bezeichnete Vernichtungskrieg der Deutschen in Osteuropa sowie Flucht und Exil vor und während des Zweiten Weltkrieges.

 

Reclaim Widerstand?

In dem rund 1.000 Seiten starkem Roman verknüpft Weiss den antifaschistischen Widerstand des vergangenen Jahrhunderts mit der These der Kunst als Form gebender Widerstandsfunktion. Seine politischen Gedanken und literarisch-künstlerischen Bezüge im Roman haben bis heute ihre Gültigkeit nicht eingebüßt und müssen in Zeiten wieder aufbrechender ziviler Widerständigkeit gegen ökonomische, politische und soziale Gewalt im globalisierten Kapitalismus aufgerufen und (wieder) bekannt gemacht werden. Vor allem muss – auch mit Hilfe solcher Werke wie der „Ästhetik des Widerstands“ – der Widerstandsbegriff denen streitig gemacht werden, die ihn aus der völkisch-konservativen Ecke heraus mit Bezug zu Carl Schmitt und anderen Protagonisten der „Konservativen Revolution“ der 1920er Jahre für sich reklamieren: „Neu Rechte“, die Rechtspopulist_innen von der „Alternative für Deutschland“ (AfD) und Pegida sowie organisierte Nazis beanspruchen aktuell ein dezidiertes Widerstandsrecht für sich, dem der Geist und die Idee antifaschistischen Widerstands im Sinne Weiss’ entgegenzusetzen sind: Kein Fußbreit den Faschist_innen ist nicht nur hier die Parole der Wahl und mit Bezug zum Werk Peter Weiss’ ein Wegweiser humaner Orientierung in einer Welt der Gewalt und der Ungerechtigkeit.

Nur was für „Gebildete“?

Entgegen der Intention des Autors ist sein Werk in den bildungsbürgerlichen Kanon gehoben worden und mit der Behauptung einer Exklusivität in Form und Inhalt dem Zugriff der (jüngeren) Lesenden entzogen worden: In der Überhöhung wurde stets eine geradezu bildungsfeindliche Barriere gegenüber dem „Jahrhundertroman“ errichtet, er sei kaum lesbar, verquast und verkopft und nicht für ein nicht-eingeweihtes Publikum bestimmt, hieß es in Deutsch-Leistungskursen und Germanistik-Proseminaren. Das Projekt der Stafettenlesung beinhaltet im Grunde den Anspruch noch eines „Reclaim“, nämlich eines „Reclaim ÄdW“, „Reclaim PW“: Durch eine öffentliche, als Großveranstaltung gestaltete Präsentation des Werkes sollen die Hemmschwellen abgebaut und dem großartigen Buch neue, junge Leser_innenschichten gewonnen werden.

 

Immerhin ist einer der ganz wesentlichen Aspekte der Beschreibung der Protagonist_innen im Roman ihr Streben nach Bildung im Sinne der Arbeiter_innenbildung(svereine) des 19. und 20. Jahrhunderts: Auch hier bietet sich ein Anknüpfungspunkt für Bildungsarbeit im besten (linken) Sinne an, die der Geschichte der Arbeiter_innenbewegung und einem hohen emanzipatorischen und egalitären Bildungsanspruch verpflichtet ist.

Die Ästhetik des Widerstands soll so einem breiten Publikum (wieder) zugänglich gemacht und junge Leser_innen für das Werk interessiert werden. Das wird durch die besondere Qualität des Erlebens erreicht, wenn mit den mehr oder minder prominenten Vorlesenden quasi Fürsprecher_innen mit öffentlicher und milieuspezifischer Anerkennung die Bühne betreten. Indem über diese „Pat_innen“, gleichsam als Repräsentant_innen der Wirkung der Ästhetik des Widerstands, die Wirkungsgeschichte thematisiert und aktuelle Anschlüsse angeboten werden, gewinnen Weiss-Neulinge und jüngere Leser_innen, die schon komplett zur Generation „Hörbuch“ gehören, neue oder erste Zugänge zu dem zunächst vielleicht als antiquiert und kompliziert wahrgenommenen Buch.

Auf diese Weise findet so etwas wie eine performative Beglaubigung und Aktualisierung der Fragen, Haltungen und Wirkungen der „Ästhetik des Widerstands“ statt, Kunst und Kultur werden als gesellschaftliches Feld politischer Reflexion, Orientierung und politischen Agierens zugänglich gemacht.

 

Wozu soll das gut sein?

Mit der Stafettenlesung der Ästhetik des Widerstands wird dem Werk und der Person Peter Weiss eine seiner Wirkung und Qualität angemessene Form gegeben. Ein zentrales Ergebnis ist das Veranstaltungsformat selbst, in dem bis zu 100 Personen aus Kultur, Wissenschaft und Politik mit je persönlichem Bezug zur Ästhetik des Widerstands diese öffentlich lesen werden. Durch diese Inszenierung, unterstützt durch weitere audio-visuelle Zugänge wie eingeblendete Zitate, Mitlese-Passagen, Kunstwerke, Orte und Personen mit Bezug zu Werk und Autor, Ton/Klangkulissen und atmosphärische Gestaltung des Veranstaltungsortes, wird dem Publikum ein eindrückliches Erlebnis von hoher Qualität angeboten, das einer neuen Rezeptionsgeneration den Zugang zur Ästhetik des Widerstands ermöglicht bzw. zu einer Wiederentdeckung einlädt. Es wird eine über den eigentlichen Lesungsort hinausgehende Einbeziehung des unmittelbaren Umfeldes durch Ausstellungen, Installationen und – neben dem laufenden „Lesebetrieb“ – kurze Publikumsgespräche mit den lesenden Personen geben.

Wo gibt es Hörproben?

Weiterhin wird die Rezeption der Ästhetik des Widerstands vorab und im Nachhinein durch Ausstrahlung eingelesener Abschnitte und Statements der für die Stafetten-Lesung gewonnen Personen als Reihe im bundesweiten Netzwerk der Freien Bürger_innenradios („Bund Freier Radios“), auf dieser Website und im Nachgang zur Stafettenlesung als DVD-Sammlung ermöglicht. Dies wird durch die freundliche Unterstützung durch den Suhrkamp-Verlag ermöglicht, der die Rechte am Weiss-Roman hält.

Was ist der Plan?

Das knapp 1000-seitige Werk wird am Wochenende 11. – 13. November 2016 im Peter-Weiss-Haus in Rostock non-stop gelesen bzw. in vorproduzierten Aufnahmen gezeigt.
Erste Schritte zur Verwirklichung des Projektes sind bereits im Jahr 2015 in Angriff genommen worden. Zunächst geht es darum, die Dauerlesung zu strukturieren und dafür den monumentalen Text in sinnhafte und lesbare Abschnitte aufzuteilen. Seit Mitte 2015 suchten wir die ersten 20 potentiellen Leser_innen für die ersten 20 Textpassagen und haben sie für entsprechende Videoaufnahmen gewonnen. Die Akquise, Korrespondenz und Begleitung der ausgewählten Personen liegt in der Hand unserer geschätzten Koordinatorin Theresa Klaue <t.klaue@peterweisshaus.de>.
Für die rund 100 Sinnabschnitte im Umfang von 10 – 30 Seiten werden geeignete Personen ausgesucht, die ihre Passage auch öffentlich vorlesen sollen. Der Lesezeit pro Person wird zwischen 20 und 60 Minuten betragen, so dass die Stafetten-Lesung ohne Unterbrechung entsprechend mehr als 50 Stunden dauern wird. Die Leseblöcke werden zu etwa zur Hälfte live gelesen und zur Hälfte als vorab aufgenommene Videoaufnahmen gezeigt. Um die Unmittelbarkeit des besonderen Ereignisses zu unterstreichen, soll es immer wieder eingestreute Live-Passagen z.t. namhafter Vortragender geben, die dem Geschehen die Aufmerksamkeit des Publikums über die gesamte, ungewöhnliche lange Laufzeit sichern werden.

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