Noch 76 Tage bis zur Stafettenlesung
Peter Weiss und Hans Coppi
Hans Coppi gehört zu den zentralen Figuren in Peter Weiss’ Roman “Die Ästhetik des Widerstands”: gemeinsam mit seinem Freund Heilmann und dem unbenannten Erzähler steht er staunend vor dem Pergamon-Altar und ventiliert mit den Freunden die Bedeutung der Kunst in ihrer historischen Entwicklung für die Arbeiterklasse und die Emanzipation der von Bildung Ausgeschlossenen. Peter Weiss hat die Romanfigur Coppi an dem realen antifaschistischen Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime angelehnt. Der junge Hans Coppi schloss sich Anfang der 1940er Jahre der Widerstandsgruppe “Rote Kapelle” um Harro Schulze-Boysen an und soll als Funker Kontakt mit sowjetischen Empfängern aufgenommen haben. Die Widerständler flogen auf, wurden zum Tode verurteilt und Ende 1942 in Plötzensee hingerichtet. Zum Tode verurteilt wurde auch Hilde Coppi, mit der Hans Coppi jung vermählt war. Hilde Coppi hatte kurz vor der Hinrichtung ihres Mannes einen Sohn zur Welt gebracht, den sie noch bis August 1943 stillen durfte, ehe sie am 5. August 1943 ebenfalls ermordet wurde.
Das August-Bebel-Institut (ABI) hat den Coppis und ihrem Sohn Hans Coppi gestern eine wunderbare Veranstaltung gewidmet. Neben dem Sohn der Coppis, Hans Coppi Junior, trugen die Literaturwissenschaftlerinnen Sabine Kebir und Salya Föhr zu diesem Abend bei. Sabine Kebir würdigte Weiss’ “monumentalen Roman” als “großes Kunstwerk”, rührte in ihre geistreiche Eloge aber auch Wermutstropfen der Kritik, sei doch die Orientierung an realen geschichtlichen Personen im Roman oft deshalb irreführend, da die Erzählung nicht mit der über die Authentizität der Figuren reklamierten Wirklichkeit übereinstimme. So habe die “Rote Kapelle” vermutlich niemals wirklich gefunkt, wie im Roman zu lesen steht. Sabine Kebir vermutet, dass Peter Weiss hier der Stilisierung von “Funkern” als Inbegriff des “Vaterlandsverrats” in der restaurativen Nachkriegspresse aufgesessen ist, die vor allem im von Ex-Nazis dominierten “Spiegel” gepflegt wurde. Ebenso ärgerlich findet Kebir die klischeehafte Beschreibung Brechts und seiner Beziehungen zu Frauen im Roman: Die dort erfundenen Bilder hätten ein fragwürdiges Image Brechts und seiner Partnerinnen entscheidend mitgeprägt, beklagte sie.
Salya Föhr führte die etwa 50 Zuhörer_innen in der überfüllten Galerie des ABI in einem kenntnisreichen Referat in das Wesen des Buches ein und zeichnete mit zahlreichen Zitaten – die zum Teil auch hier auf dem Blog und im Countdown zu finden sind – vor allem die Auseinandersetzung mit Kunst als Teil politischen Widerstands im Buch nach. Die spannenden Einführungen brachten es jedoch mit sich, dass Hans Coppi, der Sohn der Ermordeten erst recht spät zu Wort kam, um die tatsächliche Lebensgeschichte seines Vaters – auch in Abgrenzung zur Romanfigur – zu erzählen. Der rebellische Geist und eine antifaschistische Grundhaltung können dabei als die Konstanten in der Entwicklung des jungen Kommunisten gelten, der erst spät zum Dreher ausgebildet wurde und dann eben Mitglied der “Roten Kapelle” wurde, als deren “Funker” er – auch aufgrund der für dokumentarisch gehaltenen Schilderungen Weiss’ – berühmt geworden ist.
Ganz zum Schluss gab es einen winzigen Moment des Irritation in Coppis Bericht, wo er kurz andeutete, wie sehr ihn die geradezu forensische Schilderung der Hinrichtung seines Vaters in der “Ästhetik des Widerstands” gekränkt und abgestoßen hätte. Wer dieses kaum zu ertragende Kapitel des Buches kennt, wird das Entsetzen des Nachkommen der Getöteten nachvollziehen können. Natürlich musste sich Hans Coppi, der bei seinen Großeltern aufwuchs, sein Leben lang auf seine ermordeten Eltern beziehen, wobei das entscheidende verbindende Moment zwischen ihnen sicher der Antifaschismus ist: Die meisten kennen Hans Coppi seit Jahrzehnten als Kämpfer gegen alte und neue Nazis und als Aktivisten der “Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten” (VVN-BdA).
Hans Coppi hat für die Stafettenlesung in Rostock bereits einen Abschnitt der “Ästhetik des Widerstands” für uns eingelesen.